Next Generation Sequencing (NGS) erlaubt es, viele Gene gleichzeitig, aber auch unterschiedliche Veränderungen, sogenannte Mutationen, eines Tumors zu untersuchen. Man spricht auch von "Comprehensive Cancer profiling". Dabei werden DNA- und RNA-Moleküle aus Tumorzellen mittels unterschiedlicher Methoden aus dem Zellkern isoliert. Beim anschließenden Sequenzieren wird der genetische Code gelesen und enthaltene Fehler durch bioinformatischen Vergleich mit gesunden menschlichen Gensequenzen festgestellt. Die Methoden sind aufwändig und erlauben, genetische Veränderungen in Tumoren umfassend zu untersuchen, um alle möglichen Therapieoptionen erkennen zu können. "Der Einsatz von Comprehensive Cancer Profiling entwickelt sich rasant. Einerseits erkennen wir laufend weitere Tumorerkrankungen, in denen bestimmte Mutationen auftreten, die therapierbar sind, andererseits solche, die wir aus anderen Tumoren kennen und für die dann für diese Erkrankungen bewährte Therapien zum Einsatz kommen", erklärt Renate Kain, Leiterin des Klinischen Instituts für Pathologie von MedUni Wien und AKH Wien und stellvertretende Leiterin des Comprehensive Cancer Center (CCC) Vienna.
Liquid Biopsy: von der Forschung zur Routinediagnostik bei Lungenkrebs
NGS verwendet dabei eine Technologie, die immer sensitiver wird, also erlaubt, auch aus geringen Mengen von z.B. DNA, Mutationen zu erkennen. Sie bildet auch die Grundlage, aus Blutflüssigkeit Anteile von Tumor-DNA und die darin vorkommenden Veränderungen detektieren zu können. Dies kann z.B. zur Überprüfung vom Wiederauftreten einer Tumorerkrankung verwendet werden. Sehr rasch hat sich der Einsatz der Liquid Biopsy von der Anwendung in der Forschung für den Einsatz in der Routinediagnostik entwickelt und kommt am Klinischen Institut für Pathologie von MedUni Wien und AKH Wien unter anderem beim Lungenkrebs zum Einsatz.
Tumorboard für Präzisionsmedizin
Molekulare Methoden erlauben z.B., die Veränderungen in einem Tumor zu erkennen, die für oder gegen die Anwendung einer bestimmten Therapie sprechen und diese damit zielgenau einzusetzen. Im Tumorboard Precision Medicine, einem von 25 Tumorboards am CCC Vienna, werden alle möglichen Untersuchungen besprochen und danach durchgeführt. Sie kommen bei fortgeschrittenen Tumoren oder metastasierten Tumorerkrankungen mit unbekanntem Primärkarzinom standardmäßig zum Einsatz.
Beispiel: Avatare im Einsatz für Kinder mit Hirntumor
Für Kinder mit Hirntumoren spielen Präzisionsmedizinische Therapieansätze eine immer größere Rolle. Innerhalb einer engen Kooperation von Forscher:innen und Ärzt:innen werden am CCC Vienna neue Modelle von seltenen Hirntumoren aus Tumorproben entwickelt. Diese „Avatare“ ermöglichen es, verbesserte Therapien im Labor zu testen und in der Folge die Therapie für diese aggressiven Tumore zu verbessern. So konnte zum Beispiel für das Ependymom, eine Hirntumorart, die vor allem Kinder betrifft, der FGF-Rezeptor als vielversprechender neuer Therapieansatz identifiziert werden.
Beispiel: Radioonkologische Forschung als Motor für Prognoseverbesserung bei Gebärmutterhalskrebs
Ein Beispiel für die Etablierung eines neuen Therapiestandards auf Basis von gezieltem Einsatz repetitiver Bildgebung mittels Magnetresonanz ist die bildgesteuerte adaptive Brachytherapie, also die Innenbestrahlung durch für kurze Zeit eingebrachte Bestrahlungsapplikatoren, beim lokal fortgeschrittenen Gebärmutterhalskarzinom. Dieses Projekt, das von der Universitätsklinik für Radioonkologie am zertifizierten gynäkologischen Krebszentrum des CCC Vienna initiiert und geleitet wird, personalisiert im Rahmen eines internationalen Konsortiums mit 24 teilnehmenden Zentren in Europa, Asien und Nordamerika die Therapie des Zervixkarzinoms. Bisher konnte eine Verbesserung der lokalen Tumorkontrolle um 15% gezeigt werden: Bei 92% der Frauen konnte fünf Jahre nach der Behandlung kein Tumor mehr im Bereich der Gebärmutter nachgewiesen werden. Die weitere Entwicklung dieser Behandlung wird in einer risikobasierten Personalisierung bestehen.
Beispiel: Präklinische Forschung identifiziert vielversprechendes Medikament beim Blasenkarzinom
Beim Blasenkarzinom, einer der häufigsten Krebsarten, wurden zuletzt vielversprechende Forschungsergebnisse erzielt. Ein umfangreiches Screening mit über 1.700 chemischen Substanzen führte zur Identifizierung einer Vielzahl neuer potenzieller Therapien. Die außerordentlich starken inhibitorischen Effekte einer Chemotherapie, die bisher ausschließlich zur Behandlung von Leukämien in Kindern eingesetzt wird, wurden in verschiedenen Zellkulturen und Modellen verifiziert. Entsprechende klinische Studien mit Patient:innen sind im Anlaufen.
Die Therapien der Zukunft schon heute
Ziel translationaler Wissenschaft ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse zu schaffen, die unmittelbar das Leben der Patient:innen verlängern und/oder verbessern. Das CCC Vienna vernetzt die Expert:innen von MedUni Wien und AKH Wien, die sich mit der Erforschung und Therapie von Krebserkrankungen beschäftigen, und bringt damit die Wissenschaft direkt ans Patient:innenbett. Menschen mit Krebserkrankungen können so schon heute von den Therapien der Zukunft profitieren. Gleichzeitig stellen die Herausforderungen in der Klinik neue Ansatzpunkte für forschungsleitende Fragestellungen dar. Zentraler Antrieb der engen fächerübergreifenden Zusammenarbeit in Wissenschaft, Ausbildung und Therapie ist dabei stets die Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten und der Lebensqualität für die Betroffenen. Die aktuellen Forschungsschwerpunkte des CCC sind translationale Forschung und Immunonkologie. 2021 entstanden an der MedUni Wien 1.724 krebsbezogene Publikationen (Quelle: pubmed).
In den 25 Tumorboards des CCC Vienna besprechen die Expert:innen interdisziplinär gemeinsam die optimale Therapie für jede:n einzelne:n Patient:in. Im Jahr 2021 wurden 6.562 Patient:innen in einem der Tumorboards vorgestellt, davon 4.559 Neudiagnosen.